Taslima Nasrin (Bangla Desh)
Demokratie und Menschenrechte im Islam

Veröffentlicht in Aufklärung & Kritik 2/1996, S. 108-114


König Fahd von Saudiarabien sagte, daß das demokratische System, das in der Welt vorherrsche, nicht die passende Regierungsform für die Völker unserer Region sei. Freie Wahlen seien für unser Land nicht geeignet. Ich denke, König Fahd war so ehrlich zuzugeben, daß Islam und Demokratie unvereinbar sind.

Ich möchte nun die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 mit islamischem Recht und islamischer Doktrin vergleichen.

Erklärung der Menschenrechte:

Artikel 1 Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.

Artikel 2

Jeder Mensch hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeine Unterscheidung wie etwa nach Rasse, Farbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, nach Eigentum, Geburt oder sonstigen Umständen.

Artikel 3

Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.

Ich meine dazu, daß Frauen unter islamischem Gesetz geringer geachtet werden, daß ihre Zeugenaussage vor einem Gericht halb so viel wert ist wie die eines Mannes; ihre Aktivitäten sind streng begrenzt; sie dürfen nur Muslime heiraten.

Nicht nur Frauen, auch Angehörige anderer Religionen haben in islamischen Ländern unter islamischem Gesetz einen niedrigeren Status, sie dürfen z. B. nicht gegen einen Muslim aussagen. In Saudiarabien dürfen nach moslemischer Tradition, die besagt, daß im Land der Araber zwei Religionen nicht nebeneinander bestehen können, Nicht-Muslime ihre Religion nicht ausüben, keine Kirchen bauen, keine Bibel haben usw.

Ungläubige und Atheisten haben "kein Recht auf Leben" in moslemischen Ländern. Sie müssen getötet werden. Unglaube ist die größte Sünde, schlimmer als Mord, Diebstahl, Ehebruch etc.

Artikel 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lautet: Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen Formen verboten.

Doch der Koran läßt Sklaverei zu. Muslimen ist es erlaubt, zu ihren weiblichen Sklaven sexuelle Beziehungen zu haben (Sura 4.3), sie dürfen verheiratete Frauen zur Liebe zwingen, wenn diese Sklavinnen sind (Sura 4.28).

Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Wir haben gesehen, welche Strafen bei Übertretung des Heiligen Gesetzes verhängt werden: Amputation, Kreuzigung, Zu-Tode-Steinigen, Auspeitschen. Ein Moslem könnte argumentieren, daß diese Strafen göttlichen Ursprungs seien und nicht nach menschlichen Kriterien beurteilt werden dürften.

Artikel 6 lautet:

Jeder Mensch hat überall Anspruch auf Anerkennung als Rechtsperson.

Mein Kommentar dazu: Die Vorstellung davon, daß ein Mensch frei entscheiden und für sein Tun moralisch verantwortlich sein kann, fehlt im Islam, so wie die gesamten Menschenrechte fehlen.

Artikel 7, 8, 9, 10 und 11 handeln vom Recht eines Angeklagten auf eine faire Verhandlung.

Mein Kommentar: Rache bei Mord wird offiziell gebilligt, doch auch eine Geldbuße ist möglich.

Die juristische Vorgehensweise kann kaum als vorurteilsfrei oder fair bezeichnet werden, denn bei Zeugenaussagen kommt es immer wieder zu Ungerechtigkeiten. Ein Angehöriger einer anderen Religion darf nicht gegen einen Moslem aussagen. So kann zum Beispiel ein Muslim einen Andersgläubigen in dessen Wohnung ausrauben, ohne dafür bestraft zu werden, wenn es außer dem Nicht-Moslem selbst keine Zeugen gibt. Zeugenaussagen von Musliminnen werden nur ausnahmsweise anerkannt. Außerdem ist bei Frauen im Vergleich zu Männern die doppelte Zahl von Aussagen erforderlich.

In Artikel 16 geht es um die Rechte bei der Heirat von Männern und Frauen.

Mein Kommentar: Unter islamischem Gesetz haben Frauen nicht die gleichen Rechte. Sie dürfen nicht frei wählen, und auch bei der Scheidung gilt nicht gleiches Recht für beide. Männer können sich vier Frauen nehmen, wenn sie das wünschen, Frauen haben derartige Rechte nicht. Männer können sich scheiden lassen, wann immer sie wollen, Frauen nicht. Bei der Scheidung wird dem Mann alle Entscheidungsfreiheit für die Kinder zuerkannt, der Frau nur wenig.

Artikel 18 lautet:

Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehen von Riten zu bekunden.

Kommentar: Nach islamischem Gesetz darf man nicht zu einem anderen Glauben übertreten, wenn man in eine Muslimfamilie hineingeboren wurde. Umgekehrt sehen es Moslems gern, wenn man ihren Glauben annimmt.

Ein Muslim darf nicht konvertieren, damit wird er abtrünnig und muß mit dem Tode bestraft werden. Der Islam schreibt vor: "Wer auch immer sich von seinem Glauben abwendet, offen oder geheim, nimm ihn und töte ihn mit dem Schwert, wo du ihn findest, wie jeden anderen Ungläubigen auch.

Artikel 19 besagt:

Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfaßt die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.

Mein Kommentar: Die Rechte auf Gedankenfreiheit und freie Meinungsäußerung werden im Iran, in Pakistan, Bangladesh und Saudiarabien fortwährend verletzt. In all diesen Ländern verweigert man den Bahai-, Ahnadia- und Shia-Minderheiten ihre Rechte, indem man sich auf die Sharia bezieht. Christen in diesen Ländern werden häufig der Blasphemie beschuldigt und ins Gefängnis geworfen.

Hier noch eine Begebenheit in Saudiarabien aus letzter Zeit: Eine Gruppe von Muslimen, die in der Fabrik eines Moslems arbeiteten, waren entsetzt, als der Besitzer einen Christen zu ihrem Vorgesetzten bestimmte. Die Muslime forderten eine religiöse Regelung und fragten, ob es im Islam erlaubt sei, einen Christen zum Vorgesetzten zu haben. Sheikh manna Kal qubtan vom Islamic Law College in Riyadt erklärte, unter islamischem Gesetz sei es untragbar, daß ein Andersgläubiger Vorgesetzter eines Moslems sei. Er verwies auf zwei Verse im Koran, um dieses Argument zu bekräftigen: Allah wird die Ungläubigen nicht über die Gläubigen triumphieren lassen (Sura 4.141). Stärke und Kraft gebühren Gott, seinem Propheten und seinen Gläubigen (Sura 73.8).

Artikel 26 handelt vom Recht auf Bildung. Kommentar: Bestimmte Wissensgebiete sind den Frauen verwehrt. Der Hadith schreibt den Frauen vor, zu Hause zu bleiben. Es gibt einen berühmten Hadith, wo der Prophet befiehlt, daß seine Tochter Fatima sich auf das Haus und auf ihre häuslichen Pflichten beschränke, ihr Gatte hingegen auf seine Tätigkeit außerhalb des Hauses.

Ein anderer Hadith sagt, die einzige Aufgabe der Frau sei es, zu Hause zu sein und die sexuellen Wünsche ihres Gatten zu erfüllen. Al Ghazali, ein berühmter Philosoph (1058 – 1111), faßt im "Beweis des Islam" die traditionelle Auffassung wie folgt zusammen:

"Wenn sich der Mann all der häuslichen Pflichten annähme wäre es ihm nicht mehr möglich, sich intellektueller Arbeit oder Bildung zu widmen. Eine tugendhafte Frau ist, indem sie sich im Hause nützlich macht, die Gehilfin ihres Gatten … und befriedigt seine sexuellen Wünsche."

Einen "Hijab" oder Schleier zu tragen, bedeutet, daß Frauen sich hinter den Mauern ihrer Häuser zu verstecken haben. Der Koran ist, was das betrifft, in Sura 33.33 eindeutig, indem er den Frauen des Propheten vorschreibt, sich in ihren Häusern aufzuhalten.

Ein Hadith verspricht das Paradies den Frauen, die ihre fünf Gebote erfüllen, fasten, in Keuschheit leben und ihrem Gatten gehorchen.

Mut und Anstrengung einiger Reformer waren nicht erfolglos. So brauchten Musliminnen sich nicht mehr nur dem Haushalt zu widmen, sondern durften sich auch bilden. Die Universität von Al-Azhar, eine Bastion männlicher Privilegien, öffnete 1961 ihre Tore auch weiblichen Studenten. Die Konservativen versicherten jetzt, der Islam habe den Frauen diesen Anspruch nie verweigert. Es sei die Pflicht jedes Moslems, ob Mann oder Frau, sich zu bilden. Diese Haltung des Islam entspricht nicht den Tatsachen.

Der indische Schriftsteller Sreepantha schrieb in einem Aufsatz: Die erste Schule für Mädchen im ungeteilten Bengalen wurde in einer Initiative einer europäischen Mission 1819 gegründet. Die Bengalen selbst öffneten ihre erste Mädchenschule 1847. Die Bethune-Schule, die in Calcutta sehr bekannt ist, geht auf das Jahr 1850 zurück. An der Universität von Calcutta durften Mädchen im Jahr 1879 das erstemal eine Aufnahmeprüfung ablegen. Im Jahr 1880 bestanden die ersten Frauen ihre Magisterprüfung an dieser Universität. Diese wenigen Frauen, die das Glück hatten zu studieren, waren entweder Hindus oder Christen. Schulbildung für Musliminnen stand nicht zur Diskussion.

Traditionsgebundene Vorschriften, die Frauen entmutigen oder ihre Schulbildung verbieten, sind zahlreich. Die üblichen sind: Hindere Frauen daran, schreiben zu lernen. Das bringt nur Unglück. Geht eine Frau zur Schule, dann stirbt der Mann.

Warum aber sind Frauen jahrhundertelang Analphabeten und unwissend geblieben, wenn doch der Islam ihre Schulbildung ernsthaft wollte ? Wie soll eine Frau studieren, wenn sie zuhause bleiben muß, wenn es ihr verboten ist, mit einem Fremden zu sprechen? Selbst wenn ihre Familie es ihr erlaubte, was soll sie denn studieren? Arabische Denker sprechen von religiöser Erziehung für Frauen mit ein paar Kursen im Nähen, Stricken und in der Haushaltsführung. Diese Gelehrten gründen ihre Argumente auf einen Hadith, in dem der Prophet sagt: "Lehre Frauen nicht das Schreiben, sondern das Spinnen und die Sura Al Nur." Die Botschaft ist eindeutig – Frauen sollen ihr häusliches Betätigungsfeld nicht überschreiten. Die Frau ist von Gott dazu geschaffen, eine gute Ehefrau und Mutter zu sein, daher sind Chemie, Astronomie oder Geometrie gegen ihre Natur, ihre Bedürfnisse und die ihrer Familie.

Es ist eindeutig, daß die islamischen Fundamentalisten um die Unvereinbarkeit des Islam und der Erklärung der Menschenrechte von 1948 wissen. Diese Konservativen trafen sich 1981 in Paris, um eine islamische Erklärung der Menschenrechte zu formulieren, eine Erklärung, die alle Freiheiten ignorierte, die dem islamischen Gesetz widersprachen. Noch bedenklicher ist die Tatsache, daß unter dem Druck von islamischen Ländern im November 1981 die Erklärung der Vereinten Nationen, religiöse Diskriminierung zu vermeiden, revidiert wurde. Das Recht, einen Glauben anzunehmen (Artikel 18 ff) und den eigenen Glauben zu ändern, wurde gestrichen und nur das "Recht, einen Glauben zu haben" beibehalten (FL, Frühjahr 1984, Seite 22)

Demokratie und Islam

Samuel P. Huntington sagte, daß westliche Ideen zu Individualismus, Liberalismus, zu Menschenrechten, Gleichheit, Freiheit, Gesetzen, Demokratie, zu Freien Märkten, der Trennung von Kirche und Staat meistens wenig Resonanz gefunden hätten in islamischen, konfuzianischen, hinduistischen, buddhistischen oder orthodoxen Kulturen.

Die Werte und Grundsätze der Demokratie sind in der Amerikanischen Konstitution und sowohl in der British Bill of Rights (1688) als auch in der American Bill of Rights (vorgeschlagen 1789, ratifiziert 1791) definiert und festgehalten. Ein grundlegendes Prinzip der Demokratie ist die Trennung von Kirche und Staat. Wie wir gesehen haben, gibt es im Islam eine solche Trennung nicht. Die Idee der Trennung von Kirche und Staat wurde von vielen westlichen Philosophen formuliert, so von Locke, Spinoza und den Denkern der Aufklärung. Nach Locke müsse der Staat Freiheit des Gewissens und der Gedanken seiner Bürger garantieren. Locke fügte hinzu, wir sollten von der Vorstellung abkommen, als Christen oder Muslime geboren zu werden und nichts dagegen tun zu können. Wir sollten einen anderen Glauben annehmen oder aus unserer Glaubensgemeinschaft austreten dürfen, sonst seien Fortschritt, Freiheit und Reformen nicht möglich.

Wenn die Trennung von Kirche und Staat vollzogen ist, sollte eine freie Diskussion über den Glauben ohne Furcht vor Folter folgen. Das gerade fürchten theokratische Regierungen oder religiöse Autokraten – Gedankenfreiheit. Trennung von Kirche und Staat spielt auch eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die religiösen Rechte von Minderheiten zu schützen.

Ein Glaube, der nicht angezweifelt werden darf, hat Tyrannei und den Verlust kritischen Denkens zur Folge und hindert intellektuellen und moralischen Fortschritt. In der islamischen Theokratie ist Gott der absolute Herrscher, dessen Wort bedingungslos, ohne Diskussion, ohne Zweifel, ohne Fragen befolgt werden muß. Wir können mit Gott nicht handeln, wir können uns nicht über sein Veto hinwegsetzen. Der islamische Gott ist kein Demokrat, wir können ihn nicht "loswerden", wie wir das in einer Demokratie mit einem Menschen, einem vom Volk gewählten Repräsentanten, können.

Wenn Macht korrumpiert, dann korrumpiert absolute Macht absolut.

In der Tat sind Autokratie und Islam weit natürlichere Verbündete als Islam und Demokratie. Demokratie hängt ab von Gedankenfreiheit und freier Diskussion, wohingegen das islamische Gesetz verbietet, die von Ulama gefaßten unfehlbaren Beschlüsse zu diskutieren.

Der ganze Begriff der Unfehlbarkeit ist zutiefst undemokratisch und unwissenschaftlich, ob es sich dabei um ein Buch oder um eine Gruppe von Menschen handelt. Demokratie funktioniert durch kritische Diskussion, durch vernünftige Gedanken und dadurch, daß man einen anderen Standpunkt anhört. Sie funktioniert durch Kompromiß, durch Meinungsänderung, durch Hypothesen, die kritisch betrachtet werden, durch das Prüfen von Theorien, die man zu widerlegen sucht.

Das islamische Gesetz wurde nicht erlassen. Es ist von Gott enthüllt und unfehlbar. Der Begriff der Unfehlbarkeit in allen Formen, auf Gesetz oder Kirche bezogen, hat endlosen Schaden angerichtet.

Es ist nichts Hochheiliges an Bräuchen und kulturellen Traditionen – sie können kritisch betrachtet und geändert werden. So sind die Ergebnisse der westlichen Säkularisation nicht viel älter als zweihundert Jahre. Achtung vor anderen Kulturen, vor den Errungenschaften der anderen, ist ein Zeichen einer zivilisierten Haltung. Wenn diese anderen Werte jedoch die uns sehr viel bedeutenden eigenen Wertvorstellungen zerstören, sind wir dann nicht gehalten, sie zu bekämpfen – mit intellektuellen Mitteln, d. h. durch Vernunft, Argumente, Kritik, Gesetz, indem wir dafür sorgen, daß Gesetz und Verfassung von allen respektiert werden?

Mehr Wissen hat in der Vergangenheit zur Veränderung der Kultur geführt. In den letzten eineinhalb Jahrhunderten haben sich Erkenntnisse, vorurteilsfrei gewonnene Erkenntnisse, gewaltig vermehrt, was von universeller Bedeutung ist.

Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse wirken sich auf jede Kultur der Erde aus. Traditionen sind nicht einfach deshalb gut, weil sie alt sind. Die Briten schafften z. B. mit Hilfe progressiver Inder die Tradition des Sati ab, wonach eine Witwe sich auf dem Scheiterhaufen ihres verstorbenen Mannes verbrennen lassen mußte. Das war ein Schritt vorwärts im Geschick der Frauen und ein moralischer Fortschritt der Menschheit. Was gut ist, ob bei Freund oder Feind, sollte auch als solches anerkannt werden.

Der Westen muß die Demokratie ernstnehmen. Er sollte politische Maßnahmen vermeiden, die eines kurzzeitigem Nutzens wegen Grundsätze im eigenen Land und in anderen Ländern gefährden.

Steigende Tendenzen bei Faschismus und Rassismus im Westen sind ein Beweis dafür, daß nicht jeder im Westen ein Demokrat ist.

So wird die letzte Schlacht nicht zwischen dem Islam und dem Westen geschlagen werden, sondern zwischen denen, die die Freiheit lieben, und jenen, denen sie nichts bedeutet.

 

Taslima Nasrin hielt diesen Vortrag auf Einladung der Thomas-Dehler-Stiftung im Juli 1996 in München

Aus dem Englischen übersetzt von Hannelore Wanner (Nürnberg)

 

Glossar:

Sharia (arabisch): das im Koran und Hadith festgelegte Gesetz, das das gesamte islamische Leben regelt

Sura (arabisch): Kapitel oder Abschnitt des Koran

Hadith (arabisch): Überlieferung angeblicher Aussprüche Mohammeds, Hauptquelle des Islam

Ulama (arab.-türk.): die Gelehrten des Islam; Rechts- und Gottesgelehrte

Sati (Hindi): die Witwe eines Hindu, die sich auf dem Scheiterhaufen ihres verstorbenen Mannes mit verbrennen läßt

Zur Person:

Taslima Nasrin ist eine der mutigsten Frauen unserer Zeit. In ihrem Heimatland Bangla Desh stellte sie sich gegen den zunehmenden Einfluß fundamentalistischer Fanatiker, die aus einem säkularen Staat einen islamischen Gottesstaat mittelalterlicher Prägung schaffen wollen. Die Rechte religiöser Minderheiten wurden Schritt für Schritt beseitigt. Mehrfach kam es zu Pogromen, wo z.B. Hunderte von hinduistischen Tempeln dem Erdboden gleichgemacht und Hindus, Christen und Anhänger anderer Religionen verfolgt wurden. Gegen Muslime, die sich gegen die Verfolgung stellten, wurde mit den gleichen Mitteln vorgegangen. In ihrem auch in deutscher Übersetzung erhältlichen Roman "Lajja" beschreibt Taslima Nasrin exemplarisch den Weg einer Hindufamilie, die unter den Pogromen zu leiden hatte.

Taslima Nasrin geriet damit selbst in Gefahr, ihr wurde die Stelle als Ärztin gekündigt, auch ihre Verwandten hatten zu leiden, sie wurde mehrfach vom Pöbel mit dem Tod bedroht und konnte gerade noch rechtzeitig ins Ausland flüchten.

Doch stieß sie auch in der westlichen Welt häufig auf Unverständnis oder man wollte ihr gar unterstellen, sie habe ihre Verfolgung provoziert. Wie im Fall Salman Rushdie waren plötzlich in den Augen mancher westlicher Intellektueller nicht die verfolgenden Fanatiker die Täter und Taslima Nasrin nicht ihr Opfer. Täter- und Opferrolle wurden vertauscht. Dabei forderte sie lediglich etwas, was in Europa fast überall selbstverständlich sein dürfte: die Freiheit von allen Bekenntnissen in einem säkularen Staat, wozu selbstverständlich auch die Freiheit der Nichtglaubenden, d.h. Atheisten gehört.